Henri Cartier-Bresson: Der "entscheidende Moment"
Der Ausdruck „entscheidender Augenblick“ wurde nachhaltig von dem französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson (*1908, † 2004 ) geprägt. Cartier- Bresson meinte damit den Sekundenbruchteil, in dem der Fotograf auf den Auslöser drückt und in diesem Augenblick den Kern einer Szene einfängt. Dieser offenbarte sich ihm immer dann, wenn ohne Posen, Manipulationen und Arrangements etwas aus dem beiläufig Sichtbaren besonders hervorstach. Das konnte zum Beispiel ein flüchtiger Gesichtsausdruck sein, der auf Fotopapier gebannt dann zu einem großen Moment wurde. Seine 1952 aufgestellte Theorie der Fotografie des „entscheidenden Augenblicks“ illustrierte er schon frühzeitig in seinen Kriegsreportagen. Seine Vorgehensweise beim Fotografieren beschrieb er folgendermaßen: „Man muss sich seinem Gegenstand [… ] auf Sammetpfötchen, aber mit Argusaugen nahen. Nur kein Geschiebe und Gedränge- wer angeln will, darf das Wasser vorher nicht trüben. [… ] Das Handwerk hängt stark von den Beziehungen ab, die man mit den Menschen herstellen kann. Ein Wort kann alles verderben, alle verkrampfen und machen dicht.“
Das Theorem vom entscheidenden Augenblick ist auch die Aufforderung zur Bildqualität. Laut Bresson gelingt diese nur einem scharfen Beobachter, der solche Momente abzupassen und mit seiner Kamera aus dem Leben herauszuschneiden weiß. Ist das der Fall, so wird das Bild fast in dem gleichen Moment komponiert, in dem der Fotograf auf den Auslöser drückt. Dabei ist es notwendig, die innere Bedeutung einer Szene und ihre optisch erfassbare Formenwelt schnell zu erkennen. Inhalt und Form, Zeit und Raum gehen dabei stets Hand in Hand. Der Fotograf muss sich bei der Arbeit vollkommen dessen bewusst sein, was er tut, und intuitiv wissen, wann er den Auslöser zu drücken hat. In der Fotografie beruht die visuelle Anordnung bestimmter Bildelemente also auf einem spontanen Empfinden.
Was bedeutet das für die Porträtfotografie im Studio? Gehen wir einmal davon aus, dass ein Porträt einen bestimmten Aspekt der Persönlichkeit vor der Kamera wiedergibt. Aber wie fängt man als Fotograf diesen Aspekt eigentlich ein? Wie schafft es der Fotograf, eine Persönlichkeit zu entdecken und schliesslich in einem Porträt zum Ausdruck zu bringen? Das hängt natürlich davon ab, wer vor der Kamera steht, ob man schon eine persönliche Beziehung zu dem Menschen vor der Kamera hat oder ob er/sie einem völlig unbekannt ist. Alle Porträts haben jedoch unabhängig von ihrer jeweiligen Intention eins gemeinsam - den durch die Verschlusszeit bedingten kurzen Moment, in dem alles passieren muss, was ein gutes Porträt ausmacht.